Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Bauhauses entstand in Kassel ein Projekt mit vier Facetten, um die beiden bekanntesten deutschen Kulturmarken des 20. Jahrhunderts – Bauhaus und documenta – einer Parallelbetrachtung zu unterziehen. Neben einer Ausstellung in der Neuen Galerie Kassel, die sich dem Thema »Vision und Marke« widmete (23.5.-8.9.2019), einem Symposium, das sich mit der Frage »Sind wir wirklich nie modern gewesen? Bauhaus und documenta in Wahlverwandtschaft« auseinandersetzte (14./15.6.2019) und einem umfassenden Begleitbuch geht die Virtuelle Ausstellung der Frage nach: »Wie viel Bauhaus steckt in der documenta?«.
Die Spurensuche verfolgt in einer kunsthistorischen Herangehensweise, inwieweit die ersten vier documenta Ausstellungen auf das Bauhaus Bezug genommen haben oder von ihm beeinflusst wurden. Betrachtet werden die wichtigsten Akteure, die involvierten Institutionen, die ausgestellten Werke, das Kunstverständnis sowie das visuelle Erscheinungsbild der documenta.
Die documenta knüpfte 1955 sowohl an historische als auch an zeitgenössische Kunstentwicklungen an. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs war es ein Hauptanliegen, wieder Anschluss an die internationale Moderne zu finden. So saugten die Ausstellungsmacher begierig alle Anregungen auf, die sie sowohl in Konzepten aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus, als auch in der internationalen Nachkriegsmoderne fanden.
Das Bauhaus als Referenz eignete sich in idealer Weise, da es sowohl eine Rehabilitierung der von den Nationalsozialisten verfemten Kunst ermöglichte als auch für eine internationale Kunst stand. Es wurde 1933 von den Nationalsozialisten geschlossen, und ein großer Teil seiner Protagonisten musste ins Exil gehen. So konnte die documenta zudem der Idee folgen, mit einer Art künstlerischen Re-Education am Neuaufbau einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft mitzuwirken.
Auf den ersten vier documenta Ausstellungen wurden circa 300 Werke von 17 Bauhäuslern – Schülern wie Lehrern – gezeigt, die teilweise sehr prominente Orte in den Ausstellungen erhielten. Auch die typografischen Gestaltungen wie die Kleinschreibung und die Verwendung moderner Groteskschriften machen Verwandtschaften zwischen dem Bauhaus und der documenta sichtbar.
Arnold Bode, der Gründer der documenta, war kein Kunsthistoriker, kein Theoretiker oder Autor, sondern Gestalter, Künstler und Kunstpädagoge. Als Macher dachte er visuell und nicht in Begriffen. Gern nutzte er bereits existierende Ideen – so auch die des Bauhauses –, um sie für seine eigenen Konzepte zu adaptieren. Seine Zugangsweise war dabei unakademisch und ahistorisch, wie eine Erinnerung seiner Witwe verdeutlichen mag: »Ja, Klee und Kandinsky haben ihn damals vor allem fasziniert, überhaupt die ganzen Bauhaus-Leute, Schlemmer besonders. Die ganze Idee begeisterte ihn, einschließlich der Architektur«.
Das Bauhaus stellte für Bode eine Idee, ein Mythos, ja eine positiv besetzte »Marke« dar, die ideal zu seinen eigenen Interessen passte und sie untermauerte. Dabei unterschied er nicht zwischen den verschiedenen Ausrichtungen der einstigen Kunstausbildungsstätte und den unterschiedlichen Konzepten unter Walter Gropius, Hannes Meyer oder Mies van der Rohe. Selbst eine Unterscheidung zwischen Bauhaus und Werkbund blieb in seinen Aussagen diffus.
Während Bode von Anfang an im Rahmen der documenta für eine Gleichberechtigung von freier und angewandter Kunst plädierte, die jedoch aus Zeit- und Geldmangel nie zur Ausführung kam, stand sein theoretischer Begleiter Werner Haftmann für eine bedingungslose Ausrichtung auf die abstrakte Moderne. Beiden ging es – angesichts der Propagandakunst während des Nationalsozialismus sowie der des Sozialistischen Realismus im Ostblock – darum, individualisierte Ansätze geltend zu machen. Und so referierten sie nicht explizit auf spezielle Kunstrichtungen, auch nicht auf das Bauhaus als Schule. Stattdessen hoben sie Einzelpositionen individueller Künstler – darunter eben auch Bauhäusler – hervor. Deren Arbeiten verstanden sie als Beiträge zum übergeordneten kulturellen Fortschritt, der zur Abstraktion führe, als progressivste und zugleich universelle Form künstlerischer Artikulation.
Kritisch betrachtet drängt sich jedoch vehement die Frage auf, ob die frühen documenta Ausstellungen mit ihrem traditionellen Kunstverständnis nicht deutlich hinter den medialen und konzeptuellen Experimenten und Angeboten des Bauhauses zurückblieben.
Nach dem Ende der Ära Bode/Haftmann spielte das Bauhaus für die documenta keine Rolle mehr. Erst in jüngster Zeit tauchten punktuell erneut Werke des Bauhauses als historische Referenzen auf oder wurden angeeignet und ironisch transformiert. Exemplarisch hierfür ist die Arbeit »Dog Run« des kanadischen Künstlers Brian Jungen zur documenta 13: Mies van der Rohes »Barcelona Chair« diente 2012 zur Möblierung eines Hundespielplatzes, was nicht zuletzt als kritische Anmerkung zur Fetischisierung des Bauhaus-Erbes verstanden werden kann.
Birgit Jooss
Zitatnachweis:
Marlou Bode im Gespräch mit Lothar Orzechowski, in: Lothar Orzechowski (Red.): Arnold Bode – Essays, Kassel 1986, S.19