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Birgit Jooss

Arnold Bodes erster Plan zur documenta: Kunst über Länder- und Gattungsgrenzen hinweg

Arnold Bode hatte einen viel umfassenderen Plan für seine erste documenta, als schließlich realisiert wurde. Er wollte seinem Publikum — neben Malerei und Skulptur — auch Architektur, Design, Fotografie, Film, Musik, Literatur, Theater, Vorträge und vieles mehr bieten.

Eine derartige Vielfalt an Kunstgattungen und die Präsentation von Zeitkünsten verwies auch auf Praktiken im Bauhaus. Doch Finanzengpässe und Zeitmangel verhinderten seine Wünsche. Immerhin erwähnte er in seinen frühen Plänen von 1953 den »Bauhauskreis« als entscheidend für die Präsentation von Werken aus Deutschland.

Mit seinem Exposé über eine Ausstellung in Kassel 1955 unter dem Titel »Europäische Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts« legte Arnold Bode 1953 ein erstaunliches Programm für die erste documentavor. Es ging weit über die später realisierte Schau hinaus. Denn neben Malerei und Skulptur sah er auch andere Kunstformen vor. Es war die Rede von Architektur, neuem Formschaffen, neuen Werkstoffen, von Abendmusik, Literaturveranstaltungen, Vorträgen und Theateraufführungen.

Beeindruckt von den Präsentationsmethoden einer großen Pablo Picasso-Ausstellung, die Arnold Bode 1953 im kriegszerstörten Palazzo Reale in Mailand gesehen hatte, nahm er in Kassel das nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls noch nicht wiederaufgebaute Museum Fridericianum in den Blick, um eine internationale Ausstellung zu realisieren. Für diese hatte er sich bereits seit 1946 eingesetzt.

Die für Kassel 1955 geplante Bundesgartenschau bot endlich Aussicht auf Realisierung und finanzielle Unterstützung der Ausstellung. Dies belegen unter anderem Briefe Bodes an den Kasseler Oberbürgermeister Lauritz Lauritzen und den Hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn. In dem vermutlich Ende 1953 geschriebenen Exposé und dem kurz darauf verfassten, sogenannten Bode-Plan erläuterte Arnold Bode seine Absichten und benannte einzelne Künstler und Künstlergruppen:

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Mit anderen Worten: Die Ausstellung soll nur Meister zeigen, deren Bedeutung für die Gegenwart nach strengster Auswahl unbestreitbar ist, jeweils in wenigen entscheidenden Werken von letzter Qualität. (…) Für Deutschland: Brückekreis, Bauhauskreis, Neue Generation.
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Quelle

Arnold Bode: Exposé über eine Ausstellung in Kassel 1955, »Europäische Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts«, Ende 1953, docA, AA, d01, Mappe 9, 83–85

Das überarbeitete Exposé für den Oberbürgermeister führte einen weiteren Zusatz im Titel. Er lautete: »und Aufführungen im Rahmen der Bundesgartenschau in Kassel«. Damit wies es dezidiert auf die — auch im Bauhaus vertretene — Vielfalt von Kunstgattungen und Präsentation von Zeitkünsten hin:

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Das entscheidend Neue einer solchen Veranstaltung wäre darin zu sehen, dass nicht, wie allgemein üblich, eine oder mehrere Kunstgattungen in ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstadium gezeigt werden, sondern dass das bemerkenswerte Anliegen dieser Veranstaltung darin erblickt würde, die Wurzeln des gegenwärtigen Kunstschaffens auf allen wesentlichen Gebieten sichtbar zu machen. 
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Quelle

Arnold Bode: Exposé über eine Ausstellung »Europäische Kunst des XX. Jahrhunderts« und Aufführungen im Rahmen der Bundesgartenschau 1955 in Kassel, docA, AA, d01, Mappe 20, 6–9

Im Folgenden führte der Entwurf die einzelnen Gattungen auf: Die »Bildende Kunst« sollte paritätisch durch Architektur, Malerei, Grafik und Plastik vertreten sein, um eine Übersicht über die »Manifestationen des europäischen Geistes« zu bieten. In der Abteilung »Dichtung und Drama« käme die moderne Epik, Lyrik und Dramatik zum Tragen. Bei der »Musik« ginge es um das gegenwärtige musikalische Schaffen.

Eine weitere Abteilung solle sich der »Industrieform« und der »neuen Wohnung« widmen, um über aktuelle Lebensformen zu informieren. Schließlich waren in der Kategorie »Film« die »entscheidenden« in- und ausländischen Produktionen vorgesehen. Der Plan war ehrgeizig: Kunst sollte sowohl über Ländergrenzen als auch über Gattungsgrenzen der bildenden Kunst hinaus präsentiert werden.

Doch der Plan konnte in diesem Umfang nicht zur Ausführung kommen. Die documenta konzentrierte sich im Fridericianum auf Malerei und Skulptur2/9. Eine Fundamentierung erfuhr die Schau dadurch, dass archaische Bildwerke aus allen Zeiten und Kontinenten als Fotoreproduktionen in der Eingangshalle gezeigt wurden, außerdem fotografische Künstlerbildnisse#b sowie Beispiele des Neuen Bauens von 1905 bis 1955#c. Die Fotografien waren keine eigenkünstlerischen Arbeiten, sondern als dokumentarische Nachweise zu verstehen.

Ein gesamtkünstlerischer Ansatz, wie ihn Bode sich gewünscht hatte, wurde für die documenta 1955 also nicht realisiert. Immerhin fanden die Zeitkünste im Staatstheater Kassel mit der »Woche des modernen Theaters« und im Film-Palast mit der Reihe »Film-Dokumente aus 40 Jahren« ihren Platz. Sie gehörten aber als Parallelveranstaltungen anderer Kasseler Institutionen nicht zum Kern der documenta.

Die im Exposé angesprochene Richtung »Industrieform und neues Wohnen« fand überhaupt keine Realisierung. Es ist davon auszugehen, dass sich Bode — im Gegensatz zu seinem kunsthistorischen Berater Werner Haftmann#a — durchaus gerne mit den Designern, Messearchitekten und Experimentatoren des Konstruktivismus und des Bauhauses gemessen hätte. Diese Ideen setzte Arnold Bode schließlich in der Frankfurter göppinger galerie#hum.

Bis zuletzt war die Realisierung der ersten documenta fraglich gewesen, und schließlich konnte die Grundidee einer Schau mit Gesamtkunstwerk-Charakter nicht realisiert werden. Es fehlten das Geld und auch die Zeit. Und so konzentrierten sich die Macher auf die akademischen Gattungen Malerei und Skulptur. Weder Fotografie, noch Film — beide wichtige Gattungen im Bauhaus — waren präsent. Ebenso vermisste man die Position von Johannes Itten oder die kinetische Kunst von László Moholy-Nagy — beide maßgebliche Ideologen des Bauhauses, die auch bei den folgenden documenta Ausstellungen nicht in die Präsentation integriert wurden.

Die erste documenta war ein voller Erfolg. Die Anerkennung durch den ehemaligen Leiter des Bauhauses, Walter Gropius, ist als unbestätigte Anekdote überliefert:

»
Ein älterer Herr, sehr viel Persönlichkeit, sagt in der Ausstellung laut und gewählt zu seinen Begleitern: ›Die Ausstellung ist sehr zu loben.‹ Daraufhin meldet sich ein anderer Herr in nächster Umgebung: ›Ich bin erfreut, das zu hören, mein Name ist Arnold Bode. Ich bin der Raumgestalter.‹
Darauf der erste Herr: ›Freue mich, Sie kennenzulernen, mein Name ist Gropius.‹
Ein autoritativeres Urteil hätte sich Professor Bode nicht wünschen können.
«
Quelle

Friedrich Herbordt: »100 000 sahen die ›documenta‹«,
in: Hessische Nachrichten, 15.9.1955

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