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Harald Kimpel

Werner Haftmann, die graue Eminenz der documenta

Die documenta ist die Erfindung Arnold Bodes, aber sie ist stets das Resultat einer Gemeinschaftsleistung. Als damals erfolgreichster wissenschaftlicher Berater agierte von documenta 1 bis 3 der renommierte Kunstschriftsteller Werner Haftmann. Seine Thesen zur Evolution der Kunst im 20. Jahrhundert — in denen dem Bauhaus eine wichtige Rolle zukam — prägten die kunsthistorischen Aussagen der frühen Ausstellungen.

Unterstützt vom Objektivitätsimage der documenta sollte die Abstraktion als international verbindliche »Weltsprache« etabliert werden. Für seine diesbezüglichen Verdienste wurde der grauen Eminenz der documenta 1964 zusammen mit Arnold Bode die »Goethe-Plakette« der Hessischen Landesregierung verliehen.

Im Jahr 1964 erhielten Arnold Bode und Werner Haftmann die Goethe-Plakette der Hessischen Landesregierung. Das Foto zeigt (v.l.n.r.) Minister Ernst Schütte mit Arnold Bode und Werner Haftmann bei der Verleihung im Kasseler Rathaus.
© documenta archiv / Fotograf unbekannt

Obwohl sie als Resultat kollektiver Anstrengungen entsteht, ist jede documenta hochgradig personalisiert. In der öffentlichen Wahrnehmung wird sie gleichgesetzt mit ihrer jeweiligen künstlerischen Leitung. Dies gilt bereits und besonders auch für die erste documenta, die zumeist auf Arnold Bode als den Gründer und alleinigen Initiator der Ausstellungsreihe reduziert wird1/9.

Nun ist die Erfindung der documenta ohne Arnold Bode nicht zu denken, ihre Durchführung aber nicht ohne Werner Haftmann. Als wichtigster kunsthistorischer Berater prägte er die ersten drei Kasseler Veranstaltungen.

Bode machte sich Haftmanns Prestige und Thesen zunutze, während Haftmann die documenta 1955 für die Visualisierung seines Geschichtsbildes nutzte. Im Jahr zuvor hatte er nämlich sein Standardwerk zur »Malerei im 20. Jahrhundert« herausgebracht: eine programmatische »Entwicklungsgeschichte« der Kunst seit Ende des 19. Jahrhunderts.

Seine Kernthese betont die »ungemein folgerichtige« Ablösung des »reproduktiven« durch einen »evokativen« Wirklichkeitsbezug. Gemeint ist die »zweifellos sehr bruchlose Entwicklung« von einer das Sichtbare abbildenden zu einer das Unsichtbare sichtbar machenden Praxis, die in das Ideal einer »Weltkunst« mündet.
Für Bodes Vision vom »Wiederanknüpfen« an die avantgardistischen Strömungen der ersten Jahrhunderthälfte, die wesentlich vom Bauhaus repräsentiert wurden, war Haftmanns der richtige Mann:

»
An die Bauhausideen werden wir wieder anknüpfen müssen, wenn auf Schulen und Akademien eine grundlegende moderne Kunsterziehung wiedererstehen soll. 
«
Quelle

Werner Haftmann: Nicht nach der Natur, sondern wie die Natur. Die Maler des Bauhauses, in: Die Zeit, 25.5.1950

Sein Kontinuitätsdenken war auch deshalb willkommen, weil es die nationalsozialistische Kulturbarbarei zu einem folgenlosen, »sehr seltsam anmutenden Fall von Bilderstürmerei« herunterspielte.

Indem es ihm gelang, seine entwicklungsgeschichtlichen Thesen zu denen der frühen Kasseler documenta Ausstellungen zu machen, bot sich ihm hier die Gelegenheit, seinen Geschichtsentwurf mit realen Kunstwerken zu illustrieren. Die 1954 abbildungsfrei veröffentlichte Entwicklungsgeschichte kann daher als der eigentliche Katalog zur ersten documenta gesehen werden.

In Haftmanns ästhetischer Evolutionstheorie kommt der »Kameradschaft« des Bauhauses ein zentraler Stellenwert zu: als »ein sehr lebendiger Organismus von äußerster Wachsamkeit und Aufnahmebereitschaft« und »einheitliches Aktionszentrum« Deutschlands auf dem europäischen Weg in die Abstraktion. Auch in weiteren Publikationen würdigte er die Hauptrepräsentanten – und so durften Leitfiguren wie Oskar Schlemmer, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger bei der ersten documenta nicht fehlen2/9.

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