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Birgit Jooss

Kassel in den 1920er Jahren — Kontakte zum Bauhaus

Bereits in den 1920er-Jahren gab es engere Verbindungen zwischen Kassel und dem Bauhaus, als hinlänglich bekannt. So reformierte ab 1923 Hans Soeder, der neuberufene Direktor der Kunstakademie, diese im Sinne der aktuellen Reformbewegung. Die Reform war bereits 1919 in Weimar unter Walter Gropius umgesetzt worden, was vor allem bedeutete, dass sich die freie mit der angewandten Kunst vereinigen sollte — ein Erfolgsmodell, das sich an vielen Ausbildungsstätten durchsetzte.

Arnold Bode machte sich 1923 in Weimar selbst ein Bild von den Gegebenheiten und knüpfte erste Kontakte zu Bauhaus-Künstlern.
Deren Werke waren schließlich zahlreich auf den beiden überregional beachteten Ausstellungen in Kassel 1927 und 1929 zu sehen. Bodes gute Kontakte mögen bereits hier, aber vor allem auch 1955 für die erste documenta von großem Nutzen gewesen sein.

Arnold Bode erinnerte sich 1973 rückblickend an die Nähe zum Bauhaus in den 1920er Jahren:

mehr über Arnold Bode
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mehr über das Bauhaus Dessau
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Wir waren in den 20er Jahren, Kassel lag nicht weit von Weimar, hier in der Nähe des Bauhauses, sehr informiert.
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Quelle

Arnold Bode: »Interview mit Matthias Grzimek 1973«,
zit. nach Günther Grzimek, »Der poetische Raum«,
in: Lothar Orzechowski (Red.), Arnold Bode — Essays, Kassel 1986, S. 26—29, hier S. 26

Die Verbindungen zwischen dem Bauhaus und Kassel machten sich insbesondere in der Neukonzeption der Kunstakademie wie auch im überregional beachtlichen Ausstellungswesen Kassels bemerkbar.

Die Kunstakademie in Kassel, die bislang eine reine Malerakademie war, wurde ab 1923 neu ausgerichtet. Noch drei Jahre zuvor war die geforderte Zusammenlegung von Kunstakademie und Kunstgewerbeschule auf großen Widerstand gestoßen. Auch der junge Arnold Bode hatte damals den von den Studierenden verfassten Brief unterschrieben. In diesem forderten sie: »Künstler müssen in jeder Hinsicht frei sein«, denn die »Verindustrialisierung der Kunst bedeutet ihren Niedergang«, und der »künstlerische Einfluss seitens der Kunstgewerbeschule kann nur negativ sein«. Sie konnten sich durchsetzen und somit war der Versuch, in Kassel eine Einheitskunstschule zu etablieren, zunächst gescheitert.

Daraufhin konzentrierte man sich auf die Reformierung der Kunstakademie — unter Beibehaltung der Kunstgewerbeschule. 1923 berief das preußische Kultusministerium den Bauhaus-affinen Architekten Hans Soeder zum Professor für Baukunst und gleichzeitig zum Direktor der Kunstakademie. Sein Auftrag war es, die Akademie progressiver auszurichten und den Unterricht für Architektur und Kunstgewerbe auszubauen. Hans Soeder führte sogleich eine Architekturschule als vollwertiges Unterrichtsfach ein. Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Malereiprofessor Ewald Dülberg, vereinigte er die »freie«, akademische Kunst mit der »angewandten« in einem ganzheitlichen, praxisorientierten Lehrkonzept. Die bestehenden Werkstätten wurden erweitert und die Zusammenarbeit von Meistern und Schülern bei Aufträgen intensiviert #g

Die Kunstschulreformbewegung zeigte also auch in Kassel — wenngleich mit Verspätung und in veränderter Form — ihre Wirkung. Viele Kunsthochschulen waren in der Weimarer Republik neu ausgerichtet worden, doch insbesondere Walter Gropius hatte die 1919 vollzogene Zwangsvereinigung in Weimar entsprechend zu vermarkten gewusst. Damit stellte das Bauhaus die anderen Einheitskunstschulen in den Schatten und wurde zum Magnet für viele Kunstinteressierte. Auch Arnold Bode reiste im Sommer 1923 nach Weimar, um das Bauhaus selbst in Augenschein zu nehmen. In seinen autobiografischen Notizen findet sich der Hinweis:

mehr über Hans Soeder
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mehr über Ewald Dülberg
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mehr über Walter Gropius
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#g
Die göppinger galerie in Frankfurt
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Kennengelernt: Klee + Feininger + Schlemmer, Kandinsky, die jungen Künstler wie Breuer.
«
Quelle

Arnold Bode: »Biographische Daten und autobiographische Notizen«,
zit. nach Heiner Georgsdorf (Hrsg.): Arnold Bode. Schriften und Gespräche, Berlin 2007, S. 300

Die ersten Kontakte mögen ihm eventuell für seine spätere Tätigkeit als Ausstellungsmacher geholfen haben. 1927 nahm er an der großen Jubiläumsausstellung »150 Jahre Kasseler Kunstakademie« zunächst noch als ausstellender Künstler teil. Diese Ausstellung zeigte keineswegs nur lokale Künstler, sondern auch zahlreiche bekannte aus Deutschland. Drei Bauhaus-Meister befanden sich unter ihnen, die unter »Dessau« im Ausstellungsführer benannt sind: Lyonel Feininger, Carl Fieger und Paul Klee. Der renommierte Kritiker Georg Jacob Wolf schrieb begeistert:

mehr über Lyonel Feininger
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mehr über Carl Fieger
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mehr über Georg Jacob Wolf
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»
Alles Konservative blieb fern. Die Maler des Bauhauses in Dessau, die Münchner Neue Secession, der extreme Flügel der Berliner Secession, die modernsten Dresdner sind zur Stelle.
«
Quelle

Georg Jacob Wolf: »Jubiläums-Kunstausstellung Kassel 1927«,
in: Die Kunst, 1927/28, S. 71 ff.

Schon zwei Jahre später stieg der junge Arnold Bode mit seinem damaligen Freund Heinrich Dersch in das Gremium der Organisatoren für die nächste Ausstellung auf. Sie wurde 1929 unter dem Titel »Große Kunstausstellung — Neue Kunst in der Orangerie« gezeigt. Dort trugen sie Verantwortung für die Abteilung »Neue Kunst«. Ausstellungsort war abermals das barocke Orangerieschloss, das nach Jahren des Verfalls für die »Casseler Kunstausstellung 1922« wiederhergerichtet worden war und fortan als eine Art Kunsthalle diente.

Um die Arbeiten zusammenstellen zu können, verschaffte sich Bode einen Überblick über die aktuelle Situation der Kunst in Deutschland. In den autobiografischen Notizen heißt es: »Große Reise über viele Städte in Deutschland bis nach Zürich.« Auch Dessau stattete Arnold Bode einen Besuch ab. Seine Familie erinnert sich an die Begebenheit:

mehr über Heinrich Dersch
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mehr über die Orangerie
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Um die Gemälde bei den Bauhaus-Meistern in Dessau auszusuchen, reist Bode mit einem Fieseler Storch an, geflogen von seinem Bruder Paul.
«
Quelle

Arnold Bode, »Biographische Daten und autobiographische Notizen«,
zit. nach Heiner Georgsdorf (Hrsg.): Arnold Bode. Schriften und Gespräche, Berlin 2007, S. 301

Von seinen Erlebnissen in Dessau haben sich leider keine Aufzeichnungen erhalten. Doch scheint er einige Bauhäusler zur Teilnahme an der Ausstellung überredet zu haben.

Denn tatsächlich waren viele mit ihren Werken in Kassel präsent, darunter Joseph Albers, Lyonel Feininger, Werner Gilles, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Gerhard Marcks oder Oskar Schlemmer.










mehr über Joseph Albers
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mehr über Werner Gilles
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mehr über Oskar Schlemmer
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Alle hier genannten Künstler waren viele Jahre später, 1955 zur ersten documenta, wieder in Kassel vertreten. Von den 58 deutschen Künstlern der ersten documenta waren bereits 28 in den 1920-er Jahren in Kassel ausgestellt worden#2.

Die jungen Künstler Bode und Dersch hatten großen Erfolg mit ihrer Präsentation, was ihnen eine hervorragende Rezension durch den renommierten Berliner Kunstkritiker Paul Westheim eintrug. Arnold Bode erarbeitete sich also bereits in den Kasseler Ausstellungen der 1920er-Jahren sein Rüstzeug, das er später als documenta-Macher benötigen sollte. Er kannte die wichtigsten deutschen Künstler seiner Zeit, er wusste, wie eine Bildauswahl zu treffen ist, er kannte die benötigten Strukturen, um eine große Ausstellung außerhalb einer Institution zu organisieren, und er hatte erfahren, dass Kassel als Ausstellungsstadt mit anderen Kunstmetropolen konkurrieren konnte.

Arnold Bode: Stadt in der Provence (um 1927/28), in: Vierte grosse Kunstausstellung Kassel 1929, Neue Kunst in der Orangerie, veranstaltet vom Kunstverein zu Kassel, 1.Juni bis 1.September 1929, S. 63

Gerhard Marcks: Wandelnder (1928), in: Vierte grosse Kunstausstellung Kassel 1929, Neue Kunst in der Orangerie, veranstaltet vom Kunstverein zu Kassel, 1.Juni bis 1.September 1929, S. 57
© documenta archiv / VG Bild-Kunst, Bonn

Oskar Schlemmer: Raucher (1928), in: Vierte grosse Kunstausstellung Kassel 1929, Neue Kunst in der Orangerie, veranstaltet vom Kunstverein zu Kassel, 1.Juni bis 1.September 1929, S. 53




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