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Harald Kimpel

»Ein Pantheon von überlegenen Männern«: Bauhaus-Künstler in Fotoporträts

Der Künstler ist anwesend: Diese Standardformel fast jeder Ausstellungseröffnung galt auch für die erste documenta 1955 — und gleich in mehrfacher Hinsicht. Im Gang unmittelbar hinter der Eingangshalle im Museum Fridericianum hatte Arnold Bode nämlich die fotografischen Porträts von 45 Teilnehmern in einem programmatischen Kollektivdenkmal inszeniert.

Eingebunden in die Argumentation der Ausstellung sollten die ausdrucksstarken, ernst auf das Publikum blickenden Charakterköpfe — unter ihnen fünf Bauhaus-Künstler — dazu beitragen, die Seriosität der ästhetischen Anliegen der Avantgarde in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vermitteln.

Die erste documenta zeigte nicht nur Kunstwerke — sie zeigte auch Künstler2/9. Unmittelbar hinter der Eingangshalle des Fridericianums, an der durchbrochenen Wand gegenüber der Treppenhaus-Halbrotunde, versammelte Arnold Bode 45 Ausstellungsbeteiligte in Form schwarzweißer Porträtfotografien von ca. 90 x 70 cm vor schwarzem Hintergrund in strenger Reihung, aber unsystematischer Abfolge.

Einige der Bildnisse griffen auf freistehenden Metalltafeln beiderseits in den Gang aus. Wie bei den Fotowänden des historischen Vorspanns im Foyer und den Architektur-Abbildungen im oberen Halbrund wurden auch die Motive dieses plakativen Monuments aus gängigen Bildbänden reproduziert.
In die Parade der ernsten Köpfe eingestreut fanden sich die Bauhaus-Meister Paul Klee, Lyonel Feininger und Oskar Schlemmer sowie die Bauhaus-Schüler Fritz Winter und Gerhard Marcks.

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Ingeborg Sello: Portrait Fritz Winter, 1953
© Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg / Foto: Ingeborg Sello

Fotograf unbekannt: Portrait Oskar Schlemmer
© documenta archiv

Zehrer: Portrait Gerhard Marcks, 1935
© Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg / Foto: Zehrer

Paula Stockmar: Paul Klee, Oktober 2016
© Zentrum Paul Klee, Bern

Unbekannter Fotograf: Lyonel Feininger

Die schweigende Versammlung würdevoller Physiognomien war mehr als eine dekorative Ergänzung der Szenografie Arnold Bodes. Ihre zentrale Position im Gebäude signalisierte ihre Bedeutung für den Argumentationsrahmen der Ausstellung. Die Galerie der überragenden Konterfeis formierte sich zu einem Exponat, das dem Publikum ein Fazit mit auf den Rundgang und auf den Heimweg gab. Sie diente als ausstellungsdidaktisches Hilfsmittel für eine der primären kulturpolitischen Vermittlungsabsichten der ersten documenta: dem »Rückruf« derjenigen Künstler, die noch wenige Jahre zuvor in Deutschland als entartet, geistesgestört und verbrecherisch diffamiert worden waren.

Unter dem Verdacht, dass die Animositäten gegen die ästhetischen Praktiken der Moderne auch zehn Jahre nach Änderung der politischen Verhältnisse noch immer virulent sein könnten, setzte die documenta 1955 den Einzelgängern der Kunst des 20. Jahrhunderts ein heroisches Kollektivdenkmal. Überlebensgroß auf das Publikum herabblickend, sollten die Individuen bereits durch die Seriosität ihrer Charakterköpfe mit den ausdrucksstarken Gesichtslandschaften und in gutbürgerlicher Kleidung den faschistischen Diskreditierungsmethoden entgegenwirken.

Um die angefeindeten künstlerischen Strategien zu rehabilitieren, legte die Ausstellung ein pathetisches Bekenntnis zum äußeren Erscheinungsbild ihrer Urheber ab. Die Imprägnierung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft mit den Prinzipien des neuen, von Werner Haftmann beschworenen Kunst-Welt-Bildes geschah unter Aufsicht derjenigen, die es während der ersten Jahrhunderthälfte entworfen hatten#a.

Die zeitgenössischen Pressereaktionen zeigten, dass die Botschaft verstanden wurde. Ein Beispiel:

»
Es ist ein Pantheon von überlegenen Männern, von wirklich geistig geprägten ›Köpfen‹, denen kein Unbefangener die Ernsthaftigkeit und Unbestechlichkeit ihres Wollens und ihrer Leistungen bestreiten wird.
«
Quelle

Hermann Goern:
Kunst als Abenteuer des Geistes,
in: Neue Zeit [DDR], 30.9.1955

Wand mit Fotoportraits von Künstlern, Fridericianum, erste documenta, 1955

© documenta archiv / Foto: Günther Becker

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