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Birgit Jooss

Angewandte Kunst und Design — Die ersten drei documenta Ausstellungen und ihr Bezug zu Bauhaus-Ideen

Von Anfang an wollte Arnold Bode auf den documenta Ausstellungen die Einheit der freien und angewandten Künste dokumentieren — wie es das Bauhaus in der Vorkriegszeit bereits eingeführt hatte. Doch blieb es zunächst bei Gemälden und Skulpturen.

Sein Gespür für gute Gestaltung offenbarte sich jedoch in seinen vielbeachteten Inszenierungen. Es machte sich positiv bemerkbar, dass er in den 1950er-Jahren intensiv als Designer von Möbeln, Flächengestalter von Tapeten und Plastikbahnen oder als Szenograph von Messe- und Designausstellungen tätig gewesen war.

Von Anfang an hatte Arnold Bode den Wunsch formuliert, auf den documenta Ausstellungen die Einheit der freien und angewandten Künste zu dokumentieren – wie es das Bauhaus in der Vorkriegszeit bereits eingeführt hatte. Seine Affinität zu den dortigen künstlerischen Resultaten und produktiven Praktiken entsprang seinem Kunstverständnis, das sich mit der Idee des Bauhauses deckte, dass Kunst soziale Wirkkraft entfalten müsse. Er teilte die Vision einer besseren, humaneren und gerechteren Gesellschaft, zu deren Erlangung eine umfassende Umweltgestaltung Entscheidendes beitragen sollte.

Doch konnte es — entgegen seinem Wunsch — auf der ersten documenta nicht zur Einbindung von Exponaten aus dem Bereich der angewandten Kunst und des Designs kommen1/9. Allerdings leistete die Ausstellungsinszenierung Bemerkenswertes. Mit den legendären »göppinger plastics« als lichtfilternde Vorhänge und Raumteiler, Metallgestängen, die als Bildhalter dienten, den Heraklith-Platten, dem unverputzten, weiß gestrichenen Mauerwerk und der Reduktion auf Schwarz und Weiß demonstrierte Bode eine ungewöhnliche, bewusst reduzierte Ästhetik. Sie stand im Gegensatz zur Ästhetik der sogenannten Wirtschaftswunderzeit und griff vielleicht auf die Schlichtheit der Vorkriegszeit zurück.

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Bei den Exponaten hingegen kamen nur die traditionellen akademischen Künste zum Zuge: Malerei und Plastik2/9. Wenn auch Bode und seinen Begleitern das Bauhaus als Referenzmodell vorgeschwebt haben mochte, so bot die Exponatauswahl keine konkreten Beispiele einer modernen »Formgebung« des Lebens. Das prinzipielle Anliegen des Bauhauses, Kunst und Handwerk bzw. ab 1922/23 Kunst und Technik zu vereinen, stand noch nicht im Zentrum der ersten documenta. Manifestationen in Form von Produkt- und Grafikdesign, Film, Fotografie, Bühne fehlten. Weder die Einheit im Sinne eines Gesamtkunstwerks noch die Parität der Künste, auch nicht deren Durchdringung oder gar Aufhebung, um die Kunst ins Leben zu überführen, setzten Bode und seine Mitarbeiter in Szene.

Dabei war Bode in den 1950er Jahren besonders intensiv als Designer von Möbeln, Flächengestalter von Tapeten und Plastikbahnen, als Szenograph von Messe- und Designausstellungen, als Lehrer an der Werkakademie in Kassel, als Designkritiker und Mitglied wichtiger Designverbände programmatisch tätig gewesen #i. Dem Ideal der Durchdringung von Kunst und Design kam Bode nur mit einem »Spielbein« parallel zur ersten documenta nach: in seiner Tätigkeit als Kurator für die göppinger galerie in Frankfurt#g.


Für die zweite documenta bemühte sich Arnold Bode erneut um die Erweiterung der Künste. Doch wieder ohne Ergebnis. Lediglich eine nicht-akademische Gattung kam hinzu, die immerhin einen sehr prominenten Platz erhielt. Im zentralen Treppenaufgang der Rotunde des Fridericianum wurde eine kleine Gruppe von großformatigen Wirkteppichen gezeigt, darunter zentral der des Bauhaus-Schülers Fritz Winter.

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Die göppinger galerie in Frankfurt

Erdgeschoss des Museums Fridericianum, vorne links die Plastik »Negertrompeter« (1950) von Gerhard Marcks, erste documenta, 1955
© documenta archiv / Foto: Hilmar Deist / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Raumansicht Museum Fridericianum, unter anderem mit den Werken
»Konstruktion« (1937) von Max Bill und »Fenster« (1929) von Josef Albers, erste documenta, 1955
© documenta archiv / Foto: Erich Müller / Bildarchiv Foto Marburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Gemälde von Oskar Kokoschka und eine Plastik von Ernesto de Fiori mit göppinger plastics als raumgestaltendes Material auf der ersten documenta, 1955
© documenta archiv / Foto: Günther Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Chagall-Saal, göppinger plastics als raumgestaltendes Material auf der ersten documenta, 1955
© documenta archiv / Foto: Günther Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Beckmann-Saal, göppinger plastics als raumgestaltendes Material auf der ersten documenta, 1955
© documenta archiv / Foto: Günther Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Erst 1964 positionierte sich die documenta 3 innerhalb der Debatten um das Design mit einer Sonderausstellung. Mit Verspätung wurde sie am 22. August 1964 in der Staatlichen Werkkunstschule eröffnet und erhielt einen eigenen Ausstellungsband: Neben „Band 1: Malerei und Skulptur“ und „Band 2: Handzeichnungen“, der „Band 3: Industrial Design, Graphik“. Bode sprach im Begleitkatalog von „durchdringenden Randgebieten“, auf die sich die documenta nun einlasse.


Die Sonderschau verantwortete der Grafiker Jupp Ernst, Direktor der Staatlichen Werkkunstschule Kassel. Schon während seines Direktorats an der Werkkunstschule Wuppertal hatte er sich um die Integration von freier Kunst in die Designerausbildung bemüht und gleichzeitig, ab 1951, eines der ersten Institute für Industriedesign aufgebaut. Ernst war seit 1963 Mitglied im documenta-Rat und in dieser Funktion auch im „Arbeitsausschuss Industrial Design und Grafik“ tätig. In dieser Funktion richtete er die Sonderschau ein.


Die Abteilung „Industrial Design“ zeigte Arbeiten aus dem Bereich des technischen Industriedesigns wie etwa Investitionsgüter, Büromaschinen, flankiert von großformatigen Fotografien von Brücken, Maschinen, Zügen etc. Damit stellte sich Ernst auf das Niveau der Hochschule für Gestaltung Ulm, die Ende der 1950er-Jahre einen Richtungswechsel vollzogen hatte und eine Erweiterung des Bauhaus-Konzeptes hin zu aktuellen Designbereichen vorsah. Er griff zugleich Diskussionen auf, die auch in Werkbund-Kreisen und in den vielen, in der Nachkriegszeit neu entstehenden Designinstitutionen fokussiert wurden. Auch der ehemalige Bauhaus-Lehrer Wilhelm Wagenfeld und der Bauhaus-Schüler Herbert Hirche, deren Arbeiten 1964 in Kassel ausgestellt wurden, waren Persönlichkeiten, die das Design nach 1945 und dessen aktualisierte Diskurse maßgeblich beeinflussten 8/9#m.


Der Umgang mit angewandter Kunst und Design ist daher ein anschaulicher Indikator dafür, wie das Bauhaus als Vorbild von den Akteuren der ersten documenta Ausstellungen verhandelt wurde. Die in der künstlerischen Abstraktion verbürgte Autonomie von Malerei und Plastik schien Bode – wie vielen Protagonisten der Nachkriegsmoderne – Garant einer höherwertigen Geistigkeit zu sein – jenseits des tagespolitischen Geschehens. Eine der Hauptchancen, die das Identifikationsmodell Bauhaus seinen Anhängern anbot, dass es das Leben selbst gestalten wollte, wurde mit der Einengung auf bildende Kunst bei den frühen documenta Ausstellungen verpasst.


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